Amelie Julia Wegner
Geld und/oder Leben
Psychiatrie-Erfahrene und Arbeit
Das gestellte Thema ist, wie wir alle wissen, ein leidiges. Dass es das ist, liegt in seiner Natur. Durch Arbeit ernährt und schützt sich der Mensch, er drückt sich aus und findet sich bestätigt. Er findet die Kraft im oft schwierigen Dasein zu bestehen. Dabei schöpft er aus dem Fundus seiner Fähigkeiten und Mittel und durch Arbeit tritt er mit sich selbst und seiner Umwelt in Beziehung. Er tritt auch in Konkurrenz zu seinen Mitmenschen. Psychiatrie-Erfahrene nun finden sich in diesem Wettstreit oft in der Position des Unterlegenen.
Krankheitsbedingt kann man vom (Erwerbs)leben abverlangte Leistungen nicht oder nur mangelhaft erfüllen, müssen Arbeitsplätze und Lebens- und Berufspläne aufgegeben oder (wofür ich plädiere) modifiziert werden. Es wäre dies auch in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität und blühender Sozialstaatlichkeit eine unerfreuliche Problematik, wie viel mehr noch in der von Arbeitslosigkeit und Sozialabbau gekennzeichneten Gegenwart. Es gehört auch zum Charakter des Phänomens Arbeit, dass sowohl das Fehlen von Arbeit als auch ihr Vorhandensein oder ihr Übermaß Leiden schaffen kann.
„Arbeitslosigkeit“, also das Fehlen von Erwerbsarbeit, bedeutet in unserer Gesellschaft nicht nur das Verwiesensein auf dürftigere Mittel zum Lebensunterhalt, sondern auch ein Stigma. Ganz besonders gilt dies leider immer noch für Männer, die sich noch stärker als Frauen über die Erwerbsarbeit definieren und definiert werden. Auch im traditionellerweise den Frauen zugeschriebenen Bereich der (leider weitgehend) unbezahlten Hausarbeit und Kinderversorgung haben Psychiatrie-Erfahrene oft ein Manko.
Hausarbeit bleibt aufgrund eingeschränkter Leistungsfähigkeit liegen, Kinderwünsche können nicht realisiert werden, bei vorhandenen Kindern gibt es oft Schwierigkeiten mit der hinwendenden Verfügbarkeit und dem Sorgerecht. Psychiatrie-Erfahrene, Männer und Frauen, tragen also oft ein doppeltes, ja dreifaches Stigma: das der Erkrankung, das der Arbeitslosigkeit und das der Armut.
Ich möchte mich nun dafür stark machen, dass wir Psychiatrie-Erfahrenen diese Stigmata bekämpfen, indem wir, wie schon angedeutet, unseren Lebensplan nicht aufgeben, sondern ihn modifizieren, wobei wir die Bewältigung unserer Lage als durchaus lohnende Aufgabe (= Arbeit) betrachten können. Dies bedeutet unseren Lebensmut nicht sinken zu lassen, bzw. ihn immer wieder neu zu finden. Und es bedeutet zu versuchen, sich auf eine für jede/n ganz individuelle Weise eben doch zu beweisen, um so, soweit es möglich ist, Selbstbestätigung zu finden, trotz unserer hindernden Erkrankung. Wir alle, soweit wir nicht völlig resigniert haben, befinden uns in diesem Prozess.
Manche sind vielleicht sehr stark oder völlig mit der Bewältigung der Erkrankung beschäftigt. Andere leben in einer Partnerschaft oder/und haben Freunde, d.h. es gelingt ihnen, Beziehungsarbeit zu leisten. Sind beide Partner erkrankt, fallen gegenseitige Betreuungs- und Unterstützungsleistungen an. Einige betätigen sich künstlerisch, was neben der „handwerklichen“ Arbeit die Leistung von Sublimation bedeutet. Man (bzw. frau) versucht den Haushalt zu bewältigen oder es gelingt sogar ganz gut. Hierbei handelt es sich um Hausarbeit, die auch für Männer geeignet ist. Das Gebiet der „Selbstverwaltung“, d.h. der „lästige Papierkram“ mit allem was dazugehört, ist ebenso als (manchmal ausbaufähige) Arbeit anzusehen. Manche machen Aushilfstätigkeiten oder man geht einer geregelten Erwerbstätigkeit nach (minimal, Teilzeit oder Vollzeit). Vielleicht gibt es Kinder, die versorgt werden müssen oder zu denen die Beziehung möglichst positiv zu gestalten ist. Andere machen eine Ausbildung bzw. studieren. Man kann vielleicht im erwünschten und erlernten Beruf arbeiten, oder man/frau musste nach einer anderen Lösung suchen, die vielleicht einen Kompromiss beinhalten kann. Mancher arbeitet an einem sog. beschützten Arbeitsplatz, andere (evtl. als Schwerbehinderte/r) auf dem ersten Arbeitsmarkt. Andere müssen ganz von der Rente oder/und Grundsicherung leben und es gelingt ihnen vielleicht ein oder mehrere Hobbys zu pflegen.
Therapien werden nötig, die nicht nur Energie geben, sondern sie auch fordern. Medikamente schützen, aber schränken auch ein, ja können sogar schädigen. Einige von uns bewegen sich oder engagieren sich in der „Psychoszene“, d.h. bei „niedrig-schwelligen“ Angeboten, die von Gesundheitsarbeitern oder von gesunden Laien getragen werden, oder in der Psychiatrie-Erfahrenenbewegung, die wir selbst verantworten.
Ich will den Wert der Erwerbstätigkeit nicht schmälern: Es stärkt das Selbstbewusstsein, seine Arbeit finanziell honoriert zu bekommen. Es ist gut, sich selbst ganz oder teilweise ernähren zu können. Es kann stabilisieren zu arbeiten. Es ist schön, sich etwas leisten zu können. Es kann das Leben verlängern, Geld zu haben. Sollten sich faschistoide Kreise durchsetzen (wogegen es einen breiten Widerstand geben muss) würde die Arbeitsfähigkeit in noch einem weiteren Sinne zum Überlebensmerkmal: Nicht arbeitsfähigen Behinderten würden ebenso wie alten Menschen lebensrettende Maßnahmen verweigert.
Es ist also sicherlich wichtig, dass Psychiatrie-Erfahrene die Möglichkeit haben, Erwerbsarbeit auszuüben. Es wäre auch von Vorteil, auf dem ersten Arbeitsmarkt offener über unsere Probleme sprechen zu können. An „beschützten“ Arbeitsplätzen hapert es teilweise mit der Bezahlung, und die Beschäftigten werden oft in eine zu enge Abhängigkeit geführt, und bestimmte Bedürfnisse der Psychiatrie-Erfahrenen wie späterer Arbeitsbeginn, Teilzeitarbeit und gute Arbeitsatmosphäre werden manchmal nicht beachtet. Es ist dies also ein Feld, auf dem noch Verbesserungen zu fordern und vorzunehmen sind.
Schlussendlich sollten wir uns der Gleichung: (erwerbs-)arbeitsfähig = lebenswert nicht anschließen und uns nicht ganz über die Erwerbsarbeitsschiene definieren und definieren lassen. Und nebenbei bemerkt, nicht alles, was gearbeitet und produziert wird, ist sinnvoll. Sich konstruktiv um seine Gesundheit zu bemühen, ist es schon.
Amelie Julia Wegner